Verstehende Pflege

Gerontopsychiatrisches Konzept für den Kastanienhof Elmlohe

Das Konzept der „Verstehenden Pflege“ wollen wir verwirklichen und bewahren, unter Beachtung des Wortes „Menschenwürde“. In vielen Pflegeleitbildern wird dieses gewichtige Wort „Menschenwürde“ verwendet. Aber es macht schon einen Unterschied, ob es irgendwo geschrieben steht, oder ob wir es in unserer Haltung und Umgangsweise mit alten Menschen, vor allem mit Demenz betroffenen Menschen bewahrheiten.

Wir pflegen Menschen und nicht ihre Betten!

Mit diesem Leitmotiv hat Professor Erwin Böhm sein psychobiografisches Konzept begründet. Ein ehemaliger  Wegbegleiter von Herrn Böhm, Helmut Dorra, hat dieses Konzept weiterentwickelt und schult seit Anfang 2013 alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der „Verstehenden Pflege“. 

So banal, so selbstverständlich es klingen mag, in der Pflegearbeit haben wir es mit Menschen zu tun, denen wir nicht allein mit funktionalen Versorgungsleistungen gerecht werden.

Wir haben es mit Menschen zu tun, denen wir vielmehr mitfühlend und verstehend, angemessen ihren jeweils eigenen Beweggründen und biografischen Gewohnheiten begegnen möchten. 

Wir vertreten damit die Sichtweise, die den Menschen in seinem subjektiven Erleben und Erleiden zu verstehen suchen.

Wir wollen Antwort geben mit unserem pflegerischen Handeln auf die inneren Beweggründe unsere Bewohnerinnen und Bewohner. Unsere menschlichen Verhaltensweisen haben emotionale Motive. Sie gehen hervor aus unserer Gefühlsseele.

Was immer wir uns wünschen und wollen, was wir anstreben, was uns beschäftigt und auch zu schaffen macht, das alles hat seinen guten Grund, der ja nicht zuletzt in unserer Biografie und Lebensgeschichte gelegt wurde, der im Laufe der Zeit gewachsen und geworden ist.

Jeder von uns hat seine eigenen Lebensweisen und Gewohnheiten. Jeder hat seine eigene subjektive Lebensentwicklung, die ihn anleitet zu seinem verhalten und Handeln. Mit unseren biografischen Erhebungen werden wir auf diese Weise dem fühlenden Menschen verbunden bleiben und somit niemanden zum Fall erklären, den wir dann etwa fürsorglich versorgend abfertigen. Wer sich mit alten Menschen befasst, muss sich immer auch mit seiner Vergangenheit beschäftigen. Darum fragen wir nach seiner Biografie: Was erlebte dieser Mensch in seiner Kindes- und Jugendzeit? Welche Moralvorstellungen haben ihn geprägt? Welche Lebensweisheiten und Motive wurden ihm auf dem Weg gegeben? In welchem Daheim ist er aufgewachsen? Wo fühlt er sich zugehörig und aufgehoben? Auf welche Weise hat jemand gelernt, seine Alltagsprobleme zu bewältigen und zum Ziel zu gelangen?

Diese und weitere Fragen dienen keinesfalls unserem Bedürfnis nach Dokumentation – es gibt in der heutigen Pflege schon alle Mal genug Schriftkram zu erledigen. Wir wollen vielmehr  mit unseren biografischen Erhebungen beitragen zu einer fachlichen und zugleich wertschätzenden Umgehensweise, die sich dem Einzelnen, seiner Individualität und Normalität angemessen verhält.

Mit einer „verstehenden Pflege“ wollen wir nicht allein Gutes tun, sondern Gutes bewirken. Wir wollen unsere Bewohnerinnen und Bewohner nicht alles abnehmen, oder für sie übernehmen. Häufig würde das bedeuten, dass wir ihnen etwas wegnehmen. Wir möchten ihm Gelegenheit geben, sich zu beteiligen und zu betätigen im Alltagsleben des Kastanienhofes. Wer könnte noch einen Sinn sehen in seinem Leben, wenn er keinerlei Aufgaben und wenn keine Verpflichtungen zu erfüllen sind- Wer könnte noch einen Sinn sehen, wenn es nichts mehr zu sorgen und zu besorgen gibt. Sinnvoll kann nur empfunden und erfahren werden, wenn unsere Aktivitäten eingebunden bleiben in den Zusammenhang einer Zugehörigkeit, wo wir uns zuhause fühlen.

Wir wollen alte Menschen  nicht einfach aufbewahren, sondern wir wollen ihnen Wohnen“ ermöglichen. Wir wollen beitragen zu einer vertrauten Umgebung, in der sich jeder einzelne heimisch fühlen kann wie in einer großen Familie. Wir wollen unseren Bewohnern ein Daheim-Gefühl vermitteln – und dies ist umfassend gemeint:

Das Daheim-Gefühl umfasst alles, was wir mit dem Wort „Wohnen“ verbinden. Die vielfältigen Aspekte und Facetten unserer individuellen Lebenswelt, angefangen bei den eigenen vier Wänden, unserem Wohnraum, der uns Schutz und Geborgenheit biete, bis hin zu unseren eigenen Gewohnheiten, die uns vertraut geworden sind, mit denen wir uns beheimaten und verorten.

Die Sehnsucht nach ihrem Daheim bewegt gerade demenz betroffenen Menschen, auf der Suche nach einer vertrauten Lebenswelt, die ihnen Halt und Geborgenheit vermittelt.

Je weniger sie dieses Daheim antreffen, umso mehr werden Aggressionen oder Resignation auftreten als Folge einer zunehmenden Verunsicherung und Angst. Hier deutet sich an, dass mit einem Konzept des Wohnens die Pflege keine verwahrende Pflege mehr sein kann, sondern als eine Art rehabilitierende Pflege verstanden und gestaltet werden muss. 

In diesem Sinne ist „Verstehende Pflege“ therapeutische Pflege, sie ist substituierende, stützende Pflege und Betreuung. Sie ist immer bemüht, das Befinden unserer Bewohner zu verbessern, wo immer es möglich ist. Das ist mit „Verstehender Pflege“ gemeint, dass wir nicht allein somatische Bedürfnisse versorgen, sondern die Seele bewegen vor den Beinen, und damit zu einem lebendigen Leben beitragen. Wir wollen Lebensmotive erwecken. Denn solange man lebt, ist man lebendig! 

Ein Konzept lässt sich nicht ein für alle Mal installieren, es ist ein ständiger Prozess. Wir sind immer im werden, wir sind immer wieder herausgefordert und gefragt, was wir verbessern sollen, wie wir Gutes bewirken können.